Kultur & Tourismus

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Ein historischer Gemeindesitz an „alter Statt“

Altenstadt ist, wie der Name schon sagt, tatsächlich an einer „alten Statt“ entstanden, nämlich an der Stelle eines Limeskastells, das die Römer etwa 85 n. Chr. in Sichtweite des Glaubergs errichteten. Als sie 170 Jahre später von den Alemannen aus der Wetterau vertrieben wurden, war vor den Toren des Lagers eine erste Siedlung entstanden, die sich seinem rechteckigen Grundriss anpasste - der heutige alte Ortskern. Wer zwischen Ober-, Hinter- bzw. Kirchgasse und dem anschließenden Viertel mit so bezeichnenden Straßennamen wie „Im Kastell“ und „Auf der Mauer“ spazieren geht, wird das lineare römische Grundmuster unschwer wiedererkennen.

Aber nicht nur dadurch unterscheidet sich Altenstadt von allen anderen umliegenden (Straßen-) Dörfern. Dank einer ersten urkundlichen Erwähnung im Jahre 767 ist es der älteste bezegte Ort ganz Oberhessens, und dank seiner zentralen Lage im breiten Tal der Nidder war es schon vor anderthalb Jahrtausenden Mittelpunkt der „Altenstädter Mark“, die sich von Mockstadt beidseits des Limes bis in den Rommelhausener Wald erstreckte. Hier versammelten sich die Autoritäten der Markgemeinden, um nach den Bestimmungen des „Altenstädter Weistums“ Gericht zu halten und ihre Märkermeister zu wählen.

Auch als Altenstadt im 16. Jahrhundert Amtssitz der reichs-unmittelbaren Burggrafschaft Friedberg wurde, blieb es Verwaltungsmittelpunkt (der stolze Reichsadler im Gemeindewappen mit dem goldenen „A“ auf der Brust erinnert an die ritterliche Vergangenheit), ab Mitte des 19. Jahrhunderts war es zudem Gerichtssitz für die Nachbarn Höchst, Oberau, Rodenbach sowie Lindheim und Enzheim. Die Gebietsreform von 1971/72, bei der sich diese 6 bis dahin selbständigen Gemeinden mitsamt der Waldsiedlung zu einer Großgemeinde zusammenschlossen, bestätigte also nicht nur einen altgewachsenen Amtsbezirk, sondern machte Altenstadt auch um zwei bemerkenswerte historische Kapitel reicher:

In Höchst an der Nidder nämlich befand sich einst eine gefürchtete Raubritterburg, gegen die 1405 sogar Kaiser Ruprecht von der Pfalz zu Felde zog und sie dem Erdboden gleich machte. Wieder aufgebaut und im Dreißigjährigen Krieg abermals ramponiert, wurde das alte Gemäuer 1718 abgerissen und an seiner Stelle das jetzige Höchster Schloss errichtet. Es wurde bis in die 30er Jahre des letzten Jahrhunderts von

der Frankfurter Patrizierfamilie v. Günderode bewohnt, die sich mit der großen Dichterin und Goethe-Freundin Karoline v. Günderode in der Literatur-geschichte verewigte. Und in Lindheim, schon im 13. Jahrhundert mit hohen, turmbewehrten Mauern und doppeltem Wassergraben umgeben, saß Jahrhunderte lang eine Art Ritter-Genossen-schaft, die umfangreiche Ländereien bewirtschaftete. Doch auch die „Ganerben“ begannen Anfang des 15. Jahrhunderts, Frankfurter Kaufmannszüge zu überfallen, so dass mehrfach kaiserliche Truppen anrücken mussten, um den Frieden wieder herzustellen. Keine 150 Jahre später machte das wehrhafte Städtchen (das übrigens die Stadtrechte bis 1806 behielt!) erneut unrühmlich von sich reden, als 1631 die „Lindheimer Schreckensjahre“ mit einer langen Reihe entsetzlicher Hexenprozesse begannen. Der sog. „Hexenturm“, wo die armen Opfer bis zu ihrem Tode schmachteten, erinnert im Park hinter der Kirche samt Gedenktafel an diese dunkle Zeit. Verschwunden allerdings ist das 1929 bis auf die Grundmauern niedergebrannte Lindheimer Schloss, nur die zum Landhaus umgebaute ehemalige Remise steht noch. Hier lebte bis zu seinem Tode 1895 der berühmt-berüchtigte Schriftsteller Leopold v. Sacher-Masoch, der in seinen Romanen gern das beschrieb, was man nach ihm „Masochismus“ nannte.

Mehr bekannte Altenstädter? Besagte „Schreckensjahre“ stammen aus der Feder des Lindheimer Pfarrers Rudolf Ludwig Oeser, der damit einen Bestseller landete, über den sich bald halb Deutschland gruselte, wie er unter dem Pseudonym O. Glaubrecht überhaupt einer der meist-gelesenen Volksschriftsteller der Biedermeierzeit war. Einer seiner Schüler war der junge Gustav Baist, Sohn eines Altenstädter Amtskollegen, der später zusammen mit Raiffeisen der Genossen-schaftsidee in Deutschland zum Durchbruch verhalf. Ein Zeitgenosse von ihm war der Alten-städter Kleinbauernsohn Johann Peter Schäfer, den man „Blinden-Schäfer“ nennt, weil er eine der ersten deutschen Blindenschulen gründete, die bei uns damals noch weitgehend unbekannte Brailleschrift einführte und sich auch sonst als Reformpädagoge weithin einen Namen machte. Ebenfalls aus Altenstadt stammt Prof. Dr. Rudolf Ehrmann, neben Sauerwein einer der führenden Köpfe der Berliner Charité, der 1939 in die USA emigrieren musste, dort an den bedeutendsten Universitäten weiter lehrte und forschte und als Hausarzt und Freund von Albert Einstein auch an dessen Totenbett saß.

Altenstadt hat trotz der dynamischen Expansion in den letzten Jahrzehnten seine historischen Wurzeln als Mittelpunkt eines uralten Kulturraums bewahrt und ist im Kern eine l(i)ebenswerte „alte Stadt“ geblieben.


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